Predigt zu Lukas 22,54-62 am 4. Sonntag der Passionszeit – Lätare - Freuet euch mit Jerusalem! (Jes. 66,10), 10.03.2024, Pfarrer Johannes Thiemann
Eingangsgebet:
Herr Jesus Christus, wir können leben, weil du dich für uns hingegeben hast wie ein Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt. Wir bitten dich, hilf uns, dass wir dem Weg folgen, den du für uns gegangen bist, dass auch wir unser Leben für andere einsetzen, um anderen Gutes zu tun. Nimm uns die Angst, verbraucht zu werden, wenn wir unsere Kraft für eine Aufgabe einsetzen. Lass uns ein Ziel finden, damit wir nicht vergeblich vor uns hinleben. Segne uns, dass wir mit der Arbeit unserer Hände Frucht bringen. Amen
Die Verleugnung des Petrus
Sie ergriffen ihn aber und führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von ferne. Da zündeten sie ein Feuer an mitten im Hof und setzten sich zusammen; und Petrus setzte sich mitten unter sie. Da sah ihn eine Magd im Licht sitzen und sah ihn genau an und sprach: Dieser war auch mit ihm. Er aber leugnete und sprach: Frau, ich kenne ihn nicht. Und nach einer kleinen Weile sah ihn ein anderer und sprach: Du bist auch einer von denen. Petrus aber sprach: Mensch, ich bin's nicht. Und nach einer Weile, etwa nach einer Stunde, bekräftigte es ein anderer und sprach: Wahrhaftig, dieser war auch mit ihm; denn er ist auch ein Galiläer. Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Und alsbald, während er noch redete, krähte der Hahn. Und der Herr wandte sich und sah Petrus an. Und Petrus gedachte an des Herrn Wort, wie er zu ihm gesagt hatte: Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.
Liebe Gemeinde,
da hat er sich wohl zu viel zugemutet. Hat seine Kräfte überschätzt und seine Angst unterschätzt, auch die Gewalt der Menschen, die ihn befragen und bedrängen. Er bricht zusammen unter der Last der Ansprüche und des Augenblicks. Er wird zerrissen zwischen seinem Wollen und der Wirklichkeit.
Liegt es an ihm, dass er sich überschätzt hat und auf den bitteren Boden der Realität heruntergeholt wird? Liegt es an der Situation? Ist sein Umfeld verständnisvoll? Liegt es an ihm oder sind es die Bedingungen, die sich ständig und immer wieder verändern, da das Leben sich im Wandel vollzieht. Das einzige Beständige und Verlässliche ist der Wandel, so die Soziologen.
„Petrus leugnet, es ist Nacht. Nacht voll Sünde und Schuld, Jesus blickt ihn an, draußen kräht der Hahn“. So lautet eine Textzeile in einem Lied. Durch den Verrat des Judas wird Jesus den Soldaten ausgeliefert. Gefangen genommen und abgeführt. Petrus folgt ihnen. Er will Jesus nahe sein, ihn moralisch unterstützen. Dabei wird er zum Leugner und Verräter. Die Kunst versucht die Zerrissenheit des Petrus darzustellen, indem sie ihn fast „verdreht“ festhält: Mit dem Angesicht sieht er zu Jesus, während der Kopf sich abwendet, der Körper eine ganz verdrehte Haltung einnimmt. In einem neueren Kommentar zum Lukasevangelium wird festgestellt, dass das Lukasevangelium einen antipetrinischen Zungenschlag enthält. Das bedeutet, dass Petrus nicht wie üblich als das Vorbild im Glauben und Verhalten dargestellt wird, sondern es wird deutliche Kritik an seiner Person und seinem Auftreten geäußert.
Liebe Gemeinde, da war Petrus nicht der Erste, dem dies widerfahren ist und sicher ist er nicht der Letzte. Es gibt immer wieder Zeitgenossen, die warten anscheinend nur auf eine Schwäche des anderen, um dann zuzuschlagen. Ein Netzt aus Wahrheiten, Halbwahrheiten, Vermutungen und Verdächtigungen stricken, und darin dann den anderen gefangen nehmen und zu Fall bringen. Ganz aktuell geht es in dem preisgekrönten Film über die Person Oppenheimer um nichts anderes. Wie durch Angriffe, falsche Anschuldigungen und Verdächtigungen eine Person und sein Ansehen so massiv beschädigt wird, dass er seine führende Position verliert, seine Reputation und auch nach seiner Rehabilitation nicht mehr auf die Füße kommt. Aber nicht nur im Kino ist dies erleben, tagtäglich begleiten uns Versuche, Menschen regelrecht fertig zu machen, indem über sie ein Netz von Verdächtigungen und Falschmeldungen gezogen wird, sei es in der Politik, Wirtschaft, aber auch im ganz normalen gesellschaftlichen Leben.
Auch andere Beispiele gibt es, wo Menschen quasi wie in einer „Blase“ leben und nicht mehr im Kontakt zu sich und der Umwelt stehen. Isoliert und abgehoben, wie in einem „Höhenrausch“, wie Verhaltensforscher diesen Zustand beschreiben. Und dann kommt plötzlich der Absturz aus dieser Wirklichkeitsferne.
Im politischen Leben wird gerne von einem Dreischritt gesprochen: Freund – Feind – Parteifreund. Vielleicht lässt sich dieser Dreischritt auch in unserem heutigen Predigttext entdecken. Vielleicht ist manchen Menschen Petrus einfach zu mächtig geworden und sie wollten ihn zurechtstutzen. Feine Freunde hat Petrus wohl gehabt, die nur auf sein Scheitern gewartet haben. Weshalb wird sonst diese Geschichte vom Verrat und der Verleugnung so ausführlich berichtet. Petrus findet sich im Kreuzfeuer der Kritik. In mir entsteht ein Gefühl des Unbehagens. Gleichzeitig aber auch ein Gefühl der Sympathie für Petrus. Denn während die anderen Jünger sich wegducken und fliehen, hält Petrus Stand. Er geht Jesus nach dessen Verhaftung hinterher. Ist dieser Mut und diese Leidenschaft nicht zu bewundern? Könnte ich das? Sicher hat sich Petrus überschätzt, er ist eingeknickt. Sein Wollen war stärker als sein Tun. Aber er hat es versucht, er wollte treu und solidarisch sein. Der Mensch, er ist nicht perfekt, er ist wohl immer imperfekt.
Und Leidenschaft kann auch Leiden schaffen. Aber wäre ein Leben ohne Leidenschaft nicht nur Mittelmaß?
Und wollte Lukas uns vielleicht den Petrus auch als ein Vorbild im Scheitern und Versagen nahebringen? Seht her, auch Petrus, dieser Vorbildjünger, kann uns ein Hinweis dafür sein, wie wir mit Defiziten und gar Verrat umgehen können. Solche Abstürze geschehen häufiger im Leben, als sie mir lieb sind und ich sie mir wünsche. Denn sie gehören dazu. Die Lebenskunst dabei ist, dass wir nicht auf den Scherben stehen bleiben, sondern weitergehen. Weitermachen. Dass wir nicht im Selbstmitleid zerfließen, sondern zu unseren Schwächen stehen, um daraus zu lernen. Misserfolg macht weise, heißt es. Und manchmal sogar menschlich. Es geht darum, nicht immer sofort nach Rechtfertigungen für das Scheitern zu suchen, sondern vielmehr darum auch zum Versagen stehen zu können. Keine Ausflüchte zu suchen. Denn Verrat bleibt Verrat.
Wird hier Petrus ähnlich wie Jesus zum Spielball der Bosheit der Menschen? Ausgeliefert dem Zynismus und Sadismus von Menschen? Ich meine, dass Petrus hier eine ähnliche Erfahrung macht, wie auch Jesus. Jesus wird der Gewalt ausgeliefert, der Maschinerie des Todes. Einer unheilvollen Mischung aus Recht, Recht haben wollen und von Rache-Gelüsten. So ergeht es auch Petrus, dem so mutigen Nachfolger Jesu. Er wird hier allein im Regen stehen gelassen. Die einen bedauern dies, sie haben Mitleid. Andere dagegen freuen sich, vermutlich still und heimlich, über seinen Verrat und sein Versagen. Die Kreuzwege, die das Leben vorgibt und schreibt, müssen Petrus wie auch Jesus ganz allein gehen. Den Weg in der Nacht. Einer Nacht voller Not.
Dreimal wird Petrus mit der brutalen Wirklichkeit konfrontiert und dreimal versucht er seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und es gelingt ihm. Aber sein Versagen geht ihm nach. Er schämt sich. Er weint bitterlich. Erst nach der Aufweckung Jesu von den Toten wird dieses Versagen wieder neu zur Sprache gebracht. Dreimal fragt der Auferstandene Jesus den Petrus, ob er ihn noch liebhat. Wunden, sie brauchen Zeit zum Vernarben und Heilen und auch Narben können noch schmerzen.
Warum, diese Frage stellt sich nach all unseren Überlegungen, warum überliefert uns Lukas diese Geschichte, die vom Versagen des Petrus erzählt? Dem Vorzeigejünger. Da mag eine Haltung einer antipetrinischen Stimmung mitschwingen. Doch weit stärker können wir herausspüren, dass es Lukas darum geht uns Petrus gerade im Versagen als ein Vorbild zu schildern. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“. So lautet eine Volksweisheit. Petrus ist mutig, vielleicht etwas übermütig. Aber er handelt, er agiert intuitiv und impulsiv. Er wiegt nicht zuerst das pro und das contra ab, er prüft nicht zuerst alle Handlungsoptionen, er will seinem Lehrer beistehen. Er will ihn nicht allein lassen. Will nahe sein, ihn seine Nähe spüren lassen, in dieser dunklen Nacht der Not. Dabei, bewusst oder unbewusst, nimmt er in Kauf, dass er sich überschätzt und überfordert und damit zum Leugner und Verräter wird.
Manchmal scheint es wohl nicht anders zu gehen im Leben. Das Versagen, es gehört zum Leben. Die Untreue zur Treue. Kreuzwege sind auch Lebenswege.
Die Dreizahl der Verleugnung könnte auch auf die Versuchung Jesu zu Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit verweisen. Dreimal wird Jesus versucht, und immer hält er Stand. Petrus hat in dieser Nacht drei Chancen zum Bekennen und immer knickt er ein, versagt er und leugnet eine Verbindung zu Jesus. „Ich kenne ihn nicht“. Gerade Nächte sind besonders gefährlich. Da ist auf der einen Seite die Müdigkeit, auf der anderen Seite die Dunkelheit. Sowohl körperlich als auch seelisch an seine Grenzen zu kommen. Und in dieser Nacht erliegt Petrus der Verlockung des Verrats. Er hat einfach nicht die Kraft zum Widerstand.
Es tut gut und ist gut, dass uns die Bibel auch solche Geschichten aus dem sogenannten prallen Leben überliefert, liebe Gemeinde. Das Menschsein auch in seiner Facette der Schwäche. Ehrlich und ungeschminkt. Ohne Heiligenschein, der hier sonst nur ein Scheinbild wäre. Auch mit der Scham, die Petrus in seinem Versagen ergreift. Der Mensch Petrus ist nicht perfekt, wie kein Mensch perfekt sein kann. Dies macht ihn so menschlich und, wie ich es empfinde, so sympathisch. Zum Vorbild gleichermaßen, im Mut Jesus beizustehen, wie auch in der Angst vor dem eigenen Mut.
Es ist gut und gleichzeitig tröstlich, dass diese Geschichte für Petrus in dieser dunklen Nacht des Verrats nicht endet, weil „noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her“. Jochen Klepper drückt es in diesen Worten in einem Lied aus. Wir müssen nicht allein mit unserer Scham zurückbleiben, auch nicht Petrus, weil Jesus uns Menschen nicht beschämt. Er verzeiht uns, weil wir von Gott angenommen sind, wie wir sind, allein aus Gnade. Und dieses Angenommensein macht uns frei bessere Menschen zu werden.
Amen
Fürbittengebet:
Wir danken dir, lebendiger und lebenserhaltender Gott, für alle Bewahrung und Leitung auf unseren Lebenswegen. Wir danken dir für alles Glück und alle Freude, die wir in unserem Leben täglich erleben können. Dein Wort ist und bleibe Licht auf unserem Lebensweg und das tragfähige Fundament für unser Leben. Lass es uns hören und verstehen, bedenken und tun, heute und alle Tage in unserem Leben.
Herr, unser Gott, wir bitten dich für die Menschen, denen der Boden unter ihren Füßen zu verschwinden droht, weil sie Erfahrungen von Verlusten erleben.
Für die Menschen, die ihr Leben in den Sand gesetzt haben, dass sie neu beginnen können und ein tragfähiges Fundament für ihr Lebenshaus entdecken.
Für die Menschen, deren Leben durch Umweltkatastrophen in Gefahr ist, dass sie durch die Verbindung zu dir getragen und gehalten werden.
Für die Menschen, die verraten und im Stich gelassen wurden und für die Menschen, die andere verraten und im Stich gelassen haben.
Für die Menschen, die unter den aktuellen Kriegen leiden, die auf der Flucht sind, die kein Zuhause und keine Nahrung mehr haben, sei du ihnen nahe und lass sie nicht aufgeben, wie auch wir nicht aufgeben wollen, für den Frieden einzustehen und dort zu helfen, wo wir es können und wo es notwendig ist.
Amen